Im Anfang war das Wort - Gedanken von Pfarrerin Christin Neugeborn zu ihrer Wahl als neue Pfarrerin des Kirchspiels Wirberg

Der Anfang, das Neue, neues Schöpfen und Gestalten – all das scheint ohne ein Wort nicht zu gelingen.
Welten entstehen, Beziehungen entfalten sich, Widerfahrnisse lassen sich einordnen, deuten und aushaltbar machen – allein ist dazu nötig: das rechte Wort.

Gar nicht so leicht, wenn die eigene Sprache immer wieder an ihre Grenzen kommt und ihr einfach die Worte fehlen:
z.B. beim Abschied eines langjährig dienenden, Ihres liebgewordenen Pfarrers Rolf Schmidt – oder in der Dankbarkeit für Menschen, die uns über solche Schwellen hinüberhelfen, oder die uns offen willkommen heißen und Vertrauen schenken.

Ein solch einhelliges Willkommen durfte ich nun von Ihren Kirchenvorständen empfangen, liebe Leserinnen und Leser, nachdem ich mich auf Ihre vakante Pfarrstelle beworben hatte und mich Ihren Gemeinden in einem Gottesdienst und in einigen anderen Begegnungen vorstellen durfte.

Ihren Gemeinden vorstellen, das heißt einerseits u.a.: Erfahrenen, engagierten und gut zusammen- arbeitenden Kirchenvorständen, einer äußerst herzlichen wie professionell agierenden Gemeindesekretärin, routinierten und mitdenkenden Küsterinnen, akribisch arbeitenden Kollektenrechnern, „starken“ Kirchennachbarn, ausgearbeiteten und bewährten Strukturen, aktiven Ortsvereinen und so vielem mehr, was ich zu Beginn noch gar nicht zu überblicken vermag. Beste Voraussetzungen für mich als Neuling, in all die Gegebenheiten und Traditionen vor Ort hineinwachsen und sie mitpflegen zu dürfen.

Andererseits: Alles um uns herum verändert sich, Welt, Gesellschaft, Lebensläufe – und in diesen Prozessen ist auch die Kirche gezwungen, sich zu verändern, neue Wege zu gehen, gemeinsame Wege zu gehen. Wege der Kooperation, Wege neuer Strukturen. Wege, die in uns allen Fragen und Sorgen aufwerfen, Unsicherheit auslösen, die manchmal Abschied nehmen, manchmal Neuorientierung fordern.

Wege, auf die wir mit Angst, aber auch Gelassenheit und Vertrauen reagieren können. Die Kirchenvorstände und ich, wir wollen uns gemeinsam auf die Suche nach Antworten machen, wie kirchliche Arbeit weiterhin für Sie verlässlich in der Fläche erhalten bleiben kann.

Fragen der Kirche – sie rühren den ganzen Menschen, jeden Menschen an. Und jede und jeder von uns steht für sich lebens- und arbeitsbiografischen an einer anderen Stelle, von der aus wir uns dieser Entwicklung zuwenden, uns einbringen können – im Anfang mit einem Wort. Dabei ist es unerheblich, ob Sie regelmäßig den Gottesdienst besuchen, ob Sie Mitglied sind oder sich schlicht verbunden fühlen – kirchliches Interesse lässt sich im Kirchspiel Wirberg in so Vielem mehr finden, was Menschsein „heil“, gelingend macht und gestaltet: In all den hiesigen Vereinen, der Politik, der Stadt, in all den Worten, die pflegen, aufbauen, trösten, helfen, mahnen, heilen, dazwischengehen, weiten, differenzieren, übersetzen, verständlich machen, zweifeln und lieben.

Anknüpfen kann ich hieran vielleicht mit den Erfahrungen, die ich in meinen 34 Jahren bisher machen durfte. Auf einem Bauernhof im hessischen Ried (Kreis Groß-Gerau) bin ich aufgewachsen, vertraut mit vielen Generationen: mit viel Freud und Leid unter einem Dach. Nach den Menschen, ihren Sehnsüchten, Zweifeln und Hoffnungen zu fragen, sich ihr Schicksal angelegen sein zu lassen und zu schauen, wie man sie fördern kann – das ließ mich, gepaart mit einer großen Freude an Kindern, mein Erstes Staatsexamen im Grundschullehramt in Frankfurt/M. machen sowie ein Theologiestudium in Frankfurt/M. und in Kiel aufnehmen. Im Vikariat in Frankfurt/M. wie in meinem Probedienst in Biebertal durfte ich dann den Pfarrberuf als einen erleben, wo insbesondere der Puls des Menschenlebens und -leidens fühlbar wird, wo man Menschen auf ihrer Lebensreise begleiten, Ihren Sinn für das Geschenk ihres ganz eigenen Lebens verstärken kann und sich mit den Freuenden freuen wie mit den Trauernden weinen darf: an Taufbecken, auf kleinen Kita-Stühlen, im Konfi-Unterricht, im Sitzkreis der Grundschulklassen, an Geburtstagstafeln, in Ortsbeiratssitzungen, an runden Tischen, im gemeinsamen Singen und Beten, am Traualtar, in kritischen „Religionsgesprächen“, in gemeinschaftlichen Dorf-Aktionen, an Pflegebetten mit Diakonie-Schwestern und letztlich immer auch an den Gräbern.

Im Anfang steht nun mein Wort, ein Vorwort.
Ob daraus eine Begegnung wird? Darüber würde sich sehr freuen –

Ihre Christin Neugeborn